Umgehung von Patenten – wie kann man ein Patent eines Wettbewerbers umgehen?

Wie umgeht man Patente von Wettbewerbern? In diesem Artikel gehe ich auf die Umgehung von Patenten ein, wie der Schutzbereich eines Patentanspruchs grundsätzlich bestimmt wird, was äquivalente Patentverletzung ist und welche Merkmale man in der Umgehungslösung anders gestalten muss, um aus dem Schutzbereich des Patents herauszukommen. Zum Schluss gehe ich auf einige Entscheidungen ein, die Beurteilung der Umgehung besonders einfach machen und gebe mal ein konkretes Beispiel an.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Sie ein Patent eines Wettbewerbers umgehen können? Haben Sie das vielleicht schon vor einem Angriff des Gegners überlegt?

Wir betreuen viele mittelständische Unternehmen, die gerichtliche Auseinandersetzungen möglichst vermeiden wollen. Da Patentverletzungsprozesse sehr teuer sein können, ist es wichtig, diese möglichst zu vermeiden. Man kann das erreichen, indem man die Patente der Wettbewerber beobachtet und sich rechtzeitig vor einem Konflikt überlegt, ob man das Patent umgehen kann oder ob man das Patent vielleicht proaktiv beispielsweise mit einem Einspruch angreift. Dabei muss man einfach abwägen, was wirtschaftlich am günstigsten ist. Ein Einspruchsverfahren kann gut 15.000 bis 20.000 EUR in der ersten Instanz kosten und man ist dann auf jeden Fall auf dem Radar des Wettbewerbers gelandet. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das Patent vernichtet wird oder zumindest geändert werden muss, liegt insgesamt statistisch gesehen bei maximal 2/3 Wahrscheinlichkeit.

Ein Video zu den Statistiken in Einspruchsverfahren können Sie sich hier ansehen. Lizenzen wollen Sie sicher ebenfalls nicht freiwillig zaheln. Die Umgehungslösung kann also wesentlich günstiger sein – vor allem, wenn man noch recht früh in der Produktentwicklung steht.

Umgehung von Patenten – das Vorgehen

Was ist nun das konkrete Vorgehen, wenn man ein Patent umgehen möchte? Ich erkläre das im Folgenden etwas vereinfacht, damit man das grundsätzliche Vorgehen besser verstehen kann. Im konkreten Fall sollte man auf jeden Fall einen erfahrenen Patentanwalt oder Rechtsanwalt mit Erfahrung in Patentverletzungsprozessen hinzuziehen.

Zunächst mal muss man bei der Umgehung von Patenten sehen, ob das Patent überhaupt erteilt und in Kraft ist. Das hört sich sehr trivial an, wird aber auch überraschenderweise sehr oft übersehen. Am besten sieht man im jeweiligen Register nach.

Dann muss man die unabhängigen Patentansprüche identifizieren. Diese bestimmen den Schutzbereich des Patents. Die unabhängigen Patentansprüche erkennt man daran, dass diese nicht auf andere Ansprüche rückbezogen sind.

Dann sieht man sich alle Merkmale des jeweiligen unabhängigen Patentanspruchs an und stellt erst einmal fest, ob man mit dem eigenen Produkt alle diese Merkmale überhaupt realisiert. Wenn dies nicht der Fall ist, dann scheidet eine wortsinngemäße Patentverletzung aus und es kommt höchstens noch eine äquivalente Patentverletzung in Frage. Dazu später mehr.

Wenn man feststellt, dass man im eigenen Produkt alle Merkmale verwirklicht, dann überlegt man sich im nächsten Schritt, welches dieser Merkmale man am einfachsten oder kostengünstigsten am eigenen Produkt so ändern kann, dass es nicht mehr wortsinngemäß unter den Patentanspruch fällt.

Äquivalente Patentverletzung

Anschließend muss man bei der Umgehung von Patenten immer prüfen, ob man mit diesem geänderten Produkt trotzdem noch eine äquivalente Patentverletzung begehen würde.

Eine äquivalente Patentverletzung liegt nämlich dann vor, „wenn der Fachmann aufgrund von Überlegungen, die am Sinngehalt der Ansprüche, d.h. an der darin beschriebenen Erfindung anknüpfen, die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mithilfe seiner Fachkenntnisse zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems als gleichwirkend auffinden konnte.“ (vgl. o seit BGH, GRUR 1987, 279 – Formstein, vgl zB BGH, GRUR 1988, 896 [BGH 14.06.1988 – X ZR 5/87] – Ionenanalyse; BGH, GRUR 1989, 903 [BGH 03.10.1989 – X ZR 33/88] – Batteriekastenschnur; BGH, GRUR 2002, 511 [BGH 12.03.2002 – X ZR 43/01] – Kunststoffrohrteil.). Es müssen also drei Grundvoraussetzungen erfüllt sein:

1) Gleichwirkung
2) Naheliegen
3) Orientierung am Patentanspruch

Gleichwirkung: es muss sich die gleiche Wirkung einstellen und es muss derselbe Vorteil erzielt werden.

Naheliegen: das abgewandelte Merkmal muss zum Prioritätszeitpunkt nahegelegen haben. Es gelten im Prinzip dieselben Voraussetzungen wie bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

Orientierung am Patentanspruch: die Überlegungen des Fachmanns müssen derart am Sinngehalt des Patentanspruchs orientiert sein, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als gleichwertige Lösung in Betracht zieht (Anspruchsorientierung).

Es gibt viele wichtige Entscheidungen in diesem Bereich. Eine Serie von Entscheidungen möchte ich exemplarisch herausgreifen, und zwar die BGH Entscheidungen Schneidmesser I und Schneidmesser II.

In Schneidmesser I hat der BGH im Leitsatz festgehalten:

„a) Durch in den Patentanspruch aufgenommene Zahlen- und Maßangaben wird der Schutzgegenstand des Patents mitbestimmt und damit auch begrenzt. Wie jeder Bestandteil eines Patentanspruchs sind Zahlen- und Maßangaben jedoch grundsätzlich der Auslegung fähig.
b) Erschließt sich dem Fachmann kein abweichender Zahlenwert als im Sinne des anspruchsgemäßen Wertes gleichwirkend, erstreckt sich der Schutzbereich insoweit nicht über den Sinngehalt des Anspruchs hinaus.“

In Schneidmesser II hat der BGH im Leitsatz festgehalten:

„Bleibt das Patent bei objektiver Betrachtung hinter dem technischen Gehalt der Erfindung zurück, beschränkt sich der Schutz auf das, was noch mit dem Sinngehalt seiner Patentansprüche in Beziehung zu setzen ist.“

Weiter unten in der Begründung führt der BGH aus:

„Beschränkt sich das Patent bei objektiver Betrachtung auf eine engere Anspruchsfassung, als dies vom technischen Gehalt der Erfindung und gegenüber dem Stand der Technik geboten wäre, darf die Fachwelt darauf vertrauen, dass der Schutz entsprechend beschränkt ist.“

Wenn der Patentinhaber also einen Zahlenbereich angibt, dann ist damit auch der Schutzbereich definiert. Lösungen außerhalb des Zahlenbereiches verletzen daher in der Regel nicht das Patent – auch nicht äquivalent.

Beispiel der Umgehung von Patenten

Nehmen wir als Beispiel mal folgenden Patentanspruch:
Kathodenmaterial der allgemeinen Formel (I)
Mx Nia-y M1b M2c M3y O2 (I)
in der die Variablen jeweils wie folgt definiert sind:
M ist Na,
M1 ist V, Cr, Mn, Fe, Co oder eine Mischung davon,
M2 ist Ge, Sn, Ti, Zr oder eine Mischung davon,
M3 ist Zn,
x im Bereich von 0,5 bis 0,8 liegt,
a im Bereich von 0,25 bis 0,35 liegt,
b im Bereich von 0,05 bis 0,7 liegt,
c im Bereich von 0,02 bis 0,6 liegt,
y im Bereich von 0,05 bis 0,2 liegt, wobei a + b + c = 1.

Umgehung von Patenten Wenn man hier eine Umgehungslösung findet, bei der man ein Kathodenmaterial einsetzt, bei dem der Anteil von Natrium als Metall M bei 0,4 liegt, greift man in den Schutzbereich des Patentanspruchs nicht wortsinngemäß ein. Der Logik der Schneidmesser-Entscheidungen des BGH greift man aber auch nicht äquivalent in den Schutzbereich des Anspruchs ein. Zahlenbereiche sind also immer leichte Ziele, um recht sicher eine wortsinngemäße als auch eine äquivalente Patentverletzung auszuschließen.

Falls Sie Fragen zur Umgehung von Patenten von Wettbewerbern haben, nehmen Sie gerne mit uns über Email (claessen@mhpatent.de) Kontakt auf.

Viel Erfolg!

Ihr Rolf Claessen

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